Hier stellen wir Ihnen die gegenwärtig laufenden Forschungsprojekte am Lehrstuhl für Europäische Kulturgeschichte vor.
Aktuelle Forschungen des Lehrstuhls
Im Rahmen des Projekts sollen das katholische Verlagswesen vornehmlich im süddeutschen Raum sowie die Bedeutung populärer katholischer Periodika für die sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts manifestierende „religiöse Revitalisierung“ (Christopher Clark) katholischer Milieus untersucht werden. Im Fokus stehen zum einen die durchaus kontroversen Auseinandersetzungen um eine auf die Herausforderungen des sich zeitgenössisch etablierenden publizistisch-literarischen Massenmarkts reagierende Pressepolitik innerhalb katholischer Institutionen, zum anderen das sich im Spannungsfeld von religiösem Antimodernismus und ‚ökonomischer Modernität‘ bewegende Geschäftsgebaren katholischer Verleger. Vor allem jedoch zielen meine Forschungen auf die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert an Geltung gewinnende, bislang so gut wie gar nicht untersuchte populäre katholische Publizistik – namentlich religiöse Kalender und Familienzeitschriften –, die, so die Ausgangshypothese, einen maßgeblichen Beitrag zur konfessionellen Milieubildung leisteten.
In der Wahrnehmung nicht weniger deutscher Verfechter eines politischen Liberalismus erscheint die Schweiz im Vorfeld der Revolution von 1848 als eine Insel der Glückseligen, die jenem freien öffentlichen Austausch politischer Ideen Raum lässt, der in den Staaten des Deutschen Bundes aufgrund der im Gefolge der Karlsbader Beschlüsse 1819 erlassenen Restriktionen für Presseerzeugnisse nicht mehr möglich war. In meinem Projekt geht es darum, am Beispiel des Kantons Bern, in dessen Verfassung vom 6. Juli 1831 die Pressefreiheit ausdrücklich gewährleistet wird, exemplarisch zu überprüfen, wie sich Schweizer Regierungen jenen Akteuren des literarisch-publizistischen Marktes gegenüber verhielten, deren schriftstellerische und verlegerische Tätigkeit zu innen- und außenpolitischen Verwerfungen führten. Der Umgang der bernischen Behörden mit Autoren und Verlegern, welche die deutsche Zensur durch die Konstituierung einer exilliterarischen Öffentlichkeit zu umgehen versuchten, die Maßnahmen, mittels derer Verleger und Redakteure, welche linksliberalen, kommunistischen oder anarchistischen Positionen zu Publizität verhalfen, juristisch sanktioniert wurden, stehen dabei im Zentrum der Analyse. Erste Sondierungen haben gezeigt, wie inkonsistent sich die Bernische Pressepolitik im interessierenden Zeitraum gestaltete und in welchem Maße sie zum Gegenstand publizistischer Kampagnen wurde, in denen die Pressefreiheit als Fundament eines republikanisch organisierten Staates verteidigt bzw. gefordert wird. Letztere bilden ebenfalls einen Gegenstand der Untersuchung.
Das Projekt, das von einem internationalen wissenschaftlichen Netzwerk, bestehend aus US-amerikanischen, skandinavischen und deutschen Forscherteams sowie Spezialisten für Digital Humanities getragen wird, dient der (digitalen) Erschließung und der Erforschung von Lebensläufen Angehöriger der Herrnhuter Brüderunität. Die über 60‘000 seit dem 18. Jahrhundert überlieferten, in europäischen sowie US-amerikanischen befindlichen Lebensläufe bilden eine faszinierende serielle Quelle, die nicht nur in digitaler Form für die Forschung zugänglich gemacht, sondern unter vielfältigen Aspekten analysiert werden soll. Im Vordergrund stehen gegenwärtig folgende thematischen Schwerpunkte: In Anbetracht der sich aus Missionstätigkeit und einem weltumspannenden Netz von Brüdergemeinden ergebenden, in den Lebensläufen vielfältig dokumentierten Mobilität der Angehörigen der Herrnhuter Brüderunität interessieren erstens Aspekte interkultureller Wahrnehmung bzw. kulturellen Transfers. Mit Blick auf die bemerkenswert aktive Rolle von Frauen innerhalb der Herrnhuter Brüderunität und der umfangreichen pädagogischen Aktivitäten der Herrnhuter erscheinen zweitens für die Gemeinschaft konstitutive Geschlechterkonzepte und Auffassungen von Kindheit und Alter bedeutsam. Die (nicht nur) innerkirchliche Kommunikation mitsamt den dem Austausch zwischen den Gemeinden dienenden publizistischen Instrumenten sowie religiöse Vorstellungen und Praktiken und deren Signifikanz für konfessionsspezifische Identitätsbildungprozesse bilden aktuell weitere Schwerpunkte.
Inflight Magazines bilden mit einem Umfang von über 700 verschiedenen Magazinen und ins Millionenfache gehenden Umlaufzahlen eine sehr umfangreiche Quellengruppe, welche dennoch von der Forschung bisher aufgrund ihres populären und stark durch Werbung geprägten Charakters weitgehend ignoriert wurde. Dieses Promotionsprojekt soll zunächst diese Quellengruppe erschließen und Aufschluss über die Masse an bisher erschienenen Magazinen geben. Hierbei sollen insbesondere die spezifischen Charakteristika der Inflight Magazines wie ihre Zirkulation, ihre Lesergruppen sowie deren Leseverhalten untersucht werden. Weiterhin stehen die unterschiedlichen Schwerpunkte der Berichterstattung und die damit korrespondierende Frage im Vordergrund, wie in Text und Bild das „Eigene“ und das „Fremde“ voneinander abgegrenzt werden. Denn durch diese Grenzziehung findet innerhalb der Inflight Magazines auch eine teils explizite, teils implizite Konstruktion verschiedener Identitäten statt. Diese bewegen sich nicht nur zwischen den Polen einer nationalen Identität, welche diese Magazine durch ihre Rückbindung an die nationalen Fluglinien erhalten, und einer kosmopolitischen Identität, welche sie durch ihren Arbeitsauftrag des Bewerbens der Welt als sicheres Reiseziel gewinnen. Sondern es soll der Blick auf die Vielzahl verschiedener Identitäten gelenkt werden, die sich sowohl regional, national, transnational und auch international darstellen können, und in welchem Spannungsfeld diese zueinander stehen.
Das interdisziplinäre Dissertationsvorhaben widmet sich der Historizität der Angst um das Jahr 1800. Die Emotion der Angst wird dabei in ihrer Gebundenheit in zeitgenössische Kontexte des (literarisch) Sagbaren und (impliziten) Wissens als „soziale Praktik“ (A. Reckwitz) verstanden und als historisch und kulturell wandelbar eingeschätzt. Der praxeologische Ansatz ermöglicht einen Zugang über den historisch und kulturell geformten fühlenden Körper und spezifische, mit „Emotionspraktiken“ (M. Scheer) verbundene Artefakte ohne die Ergebnisse der jüngeren Emotionsgeschichte zu ignorieren: Diskurse des „Gefühlswissens“ (U. Frevert), normative Festsetzungen in Form von „feeling rules“ (A. Hochschildt) sowie die Verwickelung der Fühlenden in eine „emotional community“ (B. Rosenstein) werden inkorporiert, und kommen in eben jenem habitualisierten „nexus of doings and sayings“ (T. Schatzki) wiederum zum Ausdruck, der in der Forschungsdiskussion als Praktik bezeichnet wird. Gleichzeitig wirken Praktiken wiederum auf die sie bedingenden Diskurse, Normen und Wissensordnungen zurück und stellen nicht zuletzt durch ihr Potenzial zu scheitern, angepasst und/oder bedeutungslos zu werden eine Möglichkeit dar, den historischen Wandel im Fühlen retrospektiv nachzuvollziehen. Gerade für den gewählten Zeitraum um 1800 gewinnt der populäre Schauerroman als ein spezifisches Artefakt von Angstpraktiken im deutschsprachigen Raum im Zuge der Leserevolution des späten 18. Jahrhunderts an Bedeutung, wobei die Gründe dafür bisher nicht geklärt sind. Entgegen der literaturwissenschaftlichen Präferenz für den Höhenkamm der Schauerromantik steht in diesem Dissertationsprojekt ein populärliterarisches Korpus an Schauererzählungen von Autoren wie Johann August Apel, Friedrich Schulze und Heinrich Zschokke u.a. im Mittelpunkt des Interesses, welches mittels des Instrumentariums der historischen Leseforschung kulturgeschichtlich in den Blick genommen wird. Entscheidend dabei ist ein ‚tiefes‘ Quellenverständnis, das die literarischen Texte mit Rezeptionszeugnissen zeitgenössischer Leser (Ego-Dokumente) und Kritiker (Rezensionen), historischen Wissensordnungen, wie sie sich in Konversationslexika der Zeit manifestieren, und normativen Diskursbeiträge zum (‚angemessenen‘) Literaturkonsum in Bezug setzt. Die Verbindungen der repräsentierten Praktik der Angst (der literarischen Figuren) mit den praxeologischen Spuren der emotionalen Wirkung der Literatur und der zeitgenössischen (Wissens-)Diskurse und mit der Praktik des Lesens selbst führen zu der Frage, welche Rolle die Literaturform Schauererzählung in der emotionalen Habitualisierung in einer Zeit gespielt haben könnte, in der es noch keine (natur)wissenschaftliche Beschäftigung mit Phänomenen der Psyche gab. Wie wird ein emotionales Alltagswissen durch die Literatur strukturiert und wie wirkt die Darstellung des ‚sich Ängste‘ durch die Konstitution kultureller Emotionscodes auf Wissen und Normen von Gefühlen zurück? In diesem Zusammenhang scheint eine Bestimmung der Funktionalität von Schauerliteratur im emotionshistorischen Kontext des frühen 19. Jahrhunderts möglich. Zudem ließen sich auf Basis der emotionshistorischen Quellenanalyse Großerzählungen der Modernisierung wie der eliassche Zivilisationsprozess kritisch reevaluieren. Gleichzeitig eröffnet das Projekt neue Sichtweisen auf historische Formen der Nutzung populärer Medien, in dem es ältere Modelle (u.a. auch die Rezeptionsästhetik) um die Dimension der Eingebundenheit solcher Praktiken in Emotionspraktiken erweitert.